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Veränder­ungen gestalten

„Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders“, singt Herbert Grönemeyer so irritierend wie wahr.

Menschen verändern sich in jeder Sekunde ihres Daseins. Veränderungen gehören seit unserer Geburt und auch schon pränatal zu uns. Dennoch tun wir uns mit organisationalen Veränderungsprozessen oftmals schwer. Hier haben wir es eher mit Widerständen, Blockaden und Resignation zu tun als mit Lust, Freude und Offenheit. Warum ist das eigentlich so und wie können wir dem konstruktiv begegnen? Dieser Frage gehe ich in diesem denkbrief nach.

Eine Bewegung im Uhrzeigersinn, erhöht die Wahrscheinlichkeit, sich Veränderungen zu stellen. Dies fanden S. Topolinski und P. Sprenberg heraus, indem sie Versuchspersonen baten, unterschiedlich schmeckende Bonbons von einer Drehscheibe zu wählen. Drehte sich die Scheibe im Uhrzeigersinn stieg die Wahrscheinlichkeit, neue und ungewöhnlich schmeckende Alternativen (wie etwa Melone oder Popcorn) zu wählen, signifikant an (Turning the hands of time in Social Psychological und Personality Science, 2011). Dieses Phänomen finden wir auch beim Roulette, wo die Rechtsdrehung die Spieler offener und risikoreicher werden lässt. Dies ist ein kulturelles Phänomen, da wir es in der westlichen Welt gewohnt sind, Dinge rechts zu drehen. Denken wir an die Uhr, an den Zündschlüssel oder an den Lautstärkeregler. Wir können also unsere Bereitschaft für Veränderungen auch durch kleine Drehungen mit beeinflussen.

Verändern wie im Märchen

Wir erinnern uns an den Froschkönig der Gebrüder Grimm, der sich in einen Prinzen verändert. Wie geschieht dies doch gleich? Per Kuss? Im Original der Gebrüder Grimm wird der Frosch gegen die Wand geworfen, doch die überbehütenden Pädagogen der 70er Jahre fanden diese Version zu brutal und wandelten sie deshalb um. Somit haben wir in einem Bild gleich zwei bedeutsame Grundprinzipien: Liebe und Gewalt. Menschen verändern sich, wenn sie eine Nähe zu einem anderen Menschen wahrnehmen, diesem vertrauen und auch in ungewisse Veränderungen folgen können. Menschen verändern sich auch, wenn es notwendig ist. Doch Vorsicht mit zu viel Druck! Dieses Prinzip nutzt sich schnell ab und reduziert Selbstverantwortung. Gunther Schmidt stellt so treffend fest: „Druck erhöht die Veränderungsbereitschaft, reduziert jedoch gleichzeitig die Veränderungsbefähigung.“ Wir lernen also, jedes Prinzip zur Veränderung braucht Aufmerksamkeit und Steuerung.

Veränderung durch Liebe, manchmal überraschend.

Verändern verunsichert

Jede Veränderung geht zunächst mit Verunsicherungen einher. Typische Fragen sind hier: Werde ich den neuen Anforderungen gewachsen sein? Welche Nachteile ergeben sich für mich? Was ist mit meinen liebgewonnen Ritualen? Die Kunst in der Steuerung von Veränderungsprozessen lässt sich in einem Satz formulieren:
Erst die Sicherheit, dann die Veränderung. Was bedeutet dies konkret im Einzelnen?

Beziehen Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig in die Überlegungen mit ein! Viele Führungskräfte wollen Unruhe vermeiden und informieren daher zu spät und zu spärlich. Transparenz ist das Leitmotto von Wertschätzung, die bewegt.

Betonen Sie zunächst, was stabil bleibt. Die Kernaufgabe bleibt gleich, das Umfeld bleibt gleich, die Kolleginnen und Kollegen bleiben gleich, um nur einige Möglichkeiten aufzuzeigen. Menschen reagieren auf große Veränderungen oftmals mit einer einseitigen Fokussierung auf die Unsicherheiten. Steuern Sie dagegen, indem Sie die oben besprochene Herangehensweise nutzen.

Erst das Herz, dann der Kopf

Oftmals versuchen Manager, von den Vorteilen der anstehenden Veränderung zu überzeugen. Vermutlich haben Sie selbst schon diese Roadshows erlebt, die mit aufwendig gestalteten Marketingfolien für die Reise ins gelobte Land werben. Doch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen zunächst mit ihren Gefühlen von Unsicherheit und Ungewissheit abgeholt werden. Da kann die Nutzenargumentation noch so brillant sein; i.d.R. verpufft diese teure Maßnahme ungehört. Talk straight from the heart:

„Vermutlich fragen sich viele von Ihnen, was genau veranlasst uns, diese Veränderung einzugehen. Darauf will ich Ihnen meine ganz persönliche Haltung und Meinung anbieten. Außerdem bitte ich Sie um ihre Unterstützung.“

Wichtig ist hier, wahrhaftig zu sprechen, denn Glaubwürdigkeit ist der Veränderungskatalysator Nummer Eins.

Etwas Neurobiologie

Wenn wir in Organisationen Wandel ermöglichen wollen, nutzen wir unsere Basisemotionen: Freude, Furcht, Trauer, Scham und Wut. Jede dieser Emotionen will einen Platz haben oder sucht sich diesen. Meist ungesteuert und nicht offen. Die neurobiologische Forschung (vgl. G. Hüther) regt an, diese Emotionen bewusst zu nutzen. Gehen wir diese im einzelnen durch:

  • Freude:
    Worauf freuen Sie sich beim anstehenden Veränderungsprozess? Was würde Ihnen Freude machen? Worauf könnten Sie sich freuen im neuen Zustand nach der Veränderung? (Es klingt paradox, doch auch der Verlust einer Beschäftigung ist in Teilen mit Freude verbunden.)
  • Furcht:
    Was befürchten Sie? Was kann schlimmstenfalls passieren? Wovor haben Sie Angst? (Falsch wäre hier, zu suggerieren, es wird schon alles gut. Angst ist nun mal Angst und lässt sich handhaben, wenn wir sie nicht ignorieren.)
  • Trauer:
    Was bedauern Sie aufgrund der anstehenden Veränderung? Worüber werden Sie traurig sein?
  • Scham:
    Dies ist eine häufig wenig präsente Emotionen, deshalb gehe ich ausführlicher darauf ein. Wir alle haben gelernt, uns für Dinge oder Handlungen zu schämen. Es ist uns peinlich, in der Öffentlichkeit über Schwächen zu sprechen, oder wir verdecken schamvoll Körperteile in Anwesenheit Fremder. Das gleiche Muster wird auch bei Veränderungsprozessen aktiviert. Hier können wir uns beispielsweise dafür schämen, bestimmte Notwendigkeiten nicht früher wahrgenommen zu haben. Oder es ist uns peinlich, dass wir nun eine andere Funktion innehaben müssen. Scham ist kaum direkt bearbeitbar, daher rege ich eher indirekte Fragen an: Was berührt Sie in diesem Prozess? Was wollen Sie lieber nicht allzu laut berichtet wissen? Was sollte unter uns bleiben?
  • Wut:
    „Verdammt, schon wieder müssen wir die Fehler der Zentrale ausbaden.“ So ereiferte sich ein Kollege auf einer Betriebsversammlung. Der Vorstand konterte mit einem Fehler: „Nun stellen Sie sich doch nicht so an, seien Sie froh, dass dies Werk nicht geschlossen wird.“ Wut ist eine Emotion, die energetisch nach außen geht und auch nach außen gehen muss. Lassen Sie einen Kanal zu, etwa, „Ich kann Ihren Zorn verstehen und wir haben auch nicht immer alles richtig gemacht. Welche Hinweise sollten wir gemeinsam noch besser berücksichtigen?“ Leitfragen können sein: Was macht Sie wütend? Was ärgert Sie? Worüber sind Sie enttäuscht? (Denn ein Teil von Wut ist oftmals begründet in einer enttäuschten Erwartung)

Change als Chance

Die richtige Botschaft zur richtigen Zeit ist wesentlich, wenn wir die Empfänger der Botschaften psychologisch erreichen wollen. Zur Orientierung schlage ich sechs Stufen vor; bei der Entwicklung habe ich mich an gängigen Phasenmodellen orientiert und diese mit meiner Erfahrung in der Organisationsentwicklung kombiniert.

  • Phase 1:
    „Das hat nichts mit mir zu tun.“ Diese Negierung der Veränderung ist ein typischer Schutzmechanismus, nach dem Prinzip, was ich nicht sehe, ist auch nicht. Hilfreiche Signale: Paradoxe Frage: Was können wir machen, um den aktuellen Zustand zu verschlimmern?; Fremdsichten einbringen: Wie würde unser stärkster Konkurrent reagieren?; Vorsichtiges Konfrontieren: Die ersten Daten legen folgendes Vorgehen nahe. Nicht einreden wie auf ein totes Pferd.
  • Phase 2:
    „Beschütz mich!“ In dieser Phase ist die Erkenntnis der Veränderungsnotwendigkeit durchgedrungen, nun suchen Mitarbeiter die starke Schulter. Hilfreiche Signale: Orientierung bieten, dies kann auch sein, ich bin bei euch und wir gehen den Weg gemeinsam; Selbst Stärke signalisieren; emotionales Verständnis äußern: Ich kann die Unsicherheit nachempfinden.
  • Phase 3:
    „Ich will damit nichts zu tun haben.“ In diese Phase zeigen sich einige kämpferisch. Lauthalse Bekundigungen sind keine Seltenheit. Hilfreiche Signale: Kein Öl ins Feuer gießen; Den Lotusblumen-Effekt nutzen und persönliche Angriffe abperlen lassen. Kritischer sind die ganz Zurückgezogenen, die in Ausnahmefällen äußern mögen, „Ich will und kann auch nicht mehr. Hier brauchte es Aufmerksamkeit und ggf. therapeutische Hilfe.
  • Phase 4:
    „O.K., wenn es halt sein muss.“ In dieser Phase findet Neuordnung statt. Hilfreiche Signale: Zielbilder aktivieren, Handlungspläne erstellen und Misserfolge normalisieren.
  • Phase 5:
    „Jetzt probieren wir aus.“ Diese Phase steht unter dem Motto Experimentieren. Hilfreiche Signale: Ausprobieren lassen, Ideen einbringen, für schnelle Umsetzung sorgen.
  • Phase 6:
    „Jetzt braucht es bitte erstmal Routinen.“ Es geht um Stabilisierung. Hilfreiche Signale: Neue Routinen entwickeln lassen, Lessons Learned einführen, aber nicht mit der Idee schon auf den nächsten Veränderungsprozess zu schielen, sondern für jetzt. Wird diese Phase vernachlässigt, lernt die Organisation, nach jeder Veränderung kommt eine Veränderung und wird nachweislich langsamer beim nächsten Change-Prozess. Also, investieren Sie in zukünftige Entwicklungsgeschwindigkeit und halten Sie etwas inne!

„Geh voran, bleibt alles anders.“

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