Vom Label „Low Performer“ - Warum Führung mehr sein muss als Einteilung in „gut“ und „schlecht“
Gedacht von Andreas Steinhübel
Begriffe wie „High Performer“ und „Low Performer“ tauchen in nahezu jedem Führungskräfte Seminar auf – und auch im Führungsalltag: in Gesprächen, in Mitarbeitergesprächen, in der Personalentwicklung. Mit ihnen ziehen wir schnell Linien, setzen Bewertungsrahmen und klassifizieren Menschen. Doch: Wie hilfreich sind diese Labels eigentlich – und was bleibt dabei auf der Strecke? Genau darum geht es in diesem Impuls für Führungskräfte und Teilnehmende an Führungskräfte Seminaren.
Was wir tun, wenn wir jemanden als „Low Performer“ bezeichnen
Wenn ein Mitarbeiter als „Low Performer“ eingestuft wird, löst das oft folgende Dynamiken aus:
- Erwartungen werden gesenkt oder reduziert
- Der Fokus richtet sich auf Defizite, weniger auf Potenziale
- Mögliches Engagement oder versteckte Kompetenzen geraten aus dem Blick
- Es entsteht eine selbsterfüllende Prophezeiung: Wer niedrig bewertet wird, wird kaum Gelegenheit bekommen, sich zu beweisen
Diese Zuschreibungen machen Führung einfacher – denn sie geben Orientierung, Kategorien, Vergleichsgrößen. In Führungskräfte Seminaren zeigt sich jedoch immer wieder: Diese vermeintliche Klarheit hat einen hohen Preis. Sie schränkt ein, statt wachzurufen. Wirkungsvolle Führung beginnt dort, wo wir Menschen nicht auf starre Labels reduzieren.
Aus dem Kleingarten – ein Praxisbeispiel aus einem Führungskräfte Seminar
Wenn wir in einem Führungskräfte Seminar auf das Thema zu sprechen kommen, teile ich gerne folgendes Beispiel: In einer Gruppe Abteilungsleitungen berichtete Anton Müller (alle Namen natürlich geändert) von folgender Führungsherausforderung: Er habe den Mitarbeiter Klaus Michel in seinem Team und komme überhaupt nicht mit ihm klar. Er ist einfach ein Low Performer. Wir fragten daraufhin Anton, was er denn sonst noch über Klaus wisse. Seine Antwort, na, dass er halt eine „faule Sau“ (Originalzitat) ist. Also, ein anderes Wort für Low-Performer. Wir gaben ihm nun im Rahmen des Führungskräfte Seminars die Aufgabe, etwas Ergänzendes über seinen Mitarbeiter Anton herauszufinden. Nach 3 Wochen war Anton völlig entsetzt, denn sein Mitarbeiter war in seiner Freizeit Vorsitzender des Kleingartenvereins. Hier war er engagiert, motiviert und strukturiert.
Die Führungsaufgabe war nun also, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Anton ähnlich motiviert sein kann, wie in seinem Kleingartenverein. Die Währung: Ich sehe dich! Ist hier ganz weit vorne. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, es gibt keine Low-Performer. Es gibt lediglich Mitarbeitende, die sich unter bestimmten Rahmenbedingungen wenig engagiert verhalten. Nicht immer können wir Menschen erreichen. Doch sie allzu schnell in die Low-Performer Ecke zu stellen, löst es nicht. In meinen Führungskräfte Seminaren arbeite ich deshalb gerne mit der „Kleingartenvereinsvorsitzendenfrage“: Was muss passieren, dass wir so engagiert sind, wie Anton?
Ein differenzierterer Blick – was Führung stattdessen leisten sollte
Statt Menschen in „High“ und „Low Performer“ einzuteilen, plädiere ich – auch in meinen Führungskräfte Seminaren – für einen differenzierteren Blick. Führung sollte sich fragen:
- Welche Rahmenbedingungen fehlen? Manchmal liegt es nicht am Willen, sondern an Ressourcen, an klarer Zieldefinition, an Qualifizierung, an inneren Prozessen im Team oder an organisationalen Strukturen.
- Wie gut ist die Passung? Ist die Aufgabe passend zu den Stärken und der Arbeitsweise der Mitarbeitenden?
- Wo sind Belastungen verborgen? Stress, Überforderung, private Herausforderungen, mangelnde Rückmeldung, unklare Erwartungen – all das kann Leistung dämpfen, ohne dass jemand defizitär „ist“.
- Was kann Führung beitragen? In einem Führungskräfte Seminar geht es nicht nur um Instrumente, sondern um Haltung und konkrete Hebel:
- Feedback und Wertschätzung, das nicht nur Mängel benennt, sondern Potenziale hervorhebt.
- Entwicklungsräume öffnen: neue Aufgaben, Lernmöglichkeiten, Coaching, Mentoring.
- Die Kultur so gestalten, dass Scheitern erlaubt ist, Lernen statt Schuld im Vordergrund steht.
- Vertrauen schenken, statt ständig kontrollieren – denn Vertrauen aktiviert.
Vom Urteil zur Entwicklung
Wenn wir wegkommen von „High vs. Low“ und hin zu „Wo kann Entwicklung stattfinden?“ und „Wie kann ich als Führungskraft dazu beitragen?“ gewinnen alle:
- Menschen erhalten Anerkennung und eine Chance, ihr Potenzial zu entfalten.
- Teams profitieren von Vielfalt, unterschiedliche Stärken und Beiträge werden sichtbar.
- Organisationen gewinnen Flexibilität, Innovationskraft und Resilienz – denn ungenutztes Potenzial ist vergeudete Energie.
Meine Einladung an Führungskräfte
- Prüfen Sie Ihre Sprache: Spreche ich eher in Möglichkeiten oder in Bewertungen?
- Fragen Sie sich in Mitarbeitergesprächen: Was kann ich heute tun, damit dieser Mensch besser wird – nicht: warum er nicht schon ist.
- Gestalten Sie Strukturen und Kultur so, dass Entwicklung möglich ist – auf allen Ebenen.
- Betrachten Sie „Leistung“ nicht allein als Ergebnis, sondern als Prozess, der von Umfeld, Beziehungen und innerer Haltung mitgestaltet wird.
Ich glaube fest daran, dass wirkliche Führung die Fähigkeit ist, das Beste im Menschen herauszuholen – nicht durch Beurteilung, sondern durch Ermutigung, Klarheit, Unterstützung und echte Anteilnahme.