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Akademie Magazin

Führen im digitalen Zeit­alter

Die Digitale Transformation steht vor der Tür und klopft analog an – darin sind sich alle Wirtschaftsexperten einig.

Neben den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz sind vor allem die sich daraus ergebenden Anforderungen an Führung und Unternehmenssteuerung bedeutsam: Individualisierung, Dezentralisierung, Vernetzung, Tempo und Veränderung von Geschäftsmodellen. Die sinngemäße Übersetzung von „digital“ lautet: viel schneller, viel umfassender und viel vernetzter. In diesem Denkbrief gehen wir der Frage nach, was diese Möglichkeiten für Führung bedeuten können.

Die Digitale Transformation steht vor der Tür und klopft analog an – darin sind sich alle Wirtschaftsexperten einig. Neben den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz sind vor allem die sich daraus ergebenden Anforderungen an Führung und Unternehmenssteuerung bedeutsam: Individualisierung, Dezentralisierung, Vernetzung, Tempo und Veränderung von Geschäftsmodellen. Die sinngemäße Übersetzung von „digital“ lautet: viel schneller, viel umfassender und viel vernetzter. In diesem Denkbrief gehen wir der Frage nach, was diese Möglichkeiten für Führung bedeuten können.

Künstliche Intelligenzen können schon seit langem Dinge besser als wir Menschen. Um genauer zu sein: Sie können meist eine spezielle Tätigkeit schneller bzw. präziser als wir ausüben. Neu ist vor allem die Schnelligkeit, mit der Rechenoperationen durchgeführt werden können, bedingt durch die immense Steigerung der Prozessorleistung. Schon 1983 hieß es im Song „Mr. Roboto“ von Styx: „Ihr fragt euch wer ich bin? Eine Maschine oder eine Schaufensterpuppe? Ich bin der moderne Mensch! Ich habe ein Geheimnis, das ich unter meiner Haut erstreckt hatte. Mein Gehirn ist von IBM. Wenn ich mich seltsam benehme, seid nicht überrascht.“

Einige Beispiele

Watson von IBM war bei Krebsdiagnosen überlegen. Er erkannte Erkrankte früher und mit größerer Treffsicherheit als menschliche Mediziner. Libratus schlägt professionelle Poker-Spieler, indem es zunächst gegen sich selbst spielt und rückwirkend lernt. Das ist deshalb so bedeutsam, da Poker ein Spiel ist, in dem es neben Logik sehr viel um psychologische Kompetenzen geht. Wir treten bei Entscheidungen in Stereotypenfallen und halten etwa Männer ohne Bart für intelligenter (so viel am Rande zur aktuellen Bartmode). Die Kanzlei Robot, Robot and Hwang nutzt virtuelle Intelligenz zur Urteilsbildung – ohne auf Bärte zu achten.
»Wir können darüber diskutieren, wann und wie Roboter Teil unserer Arbeitswelt werden, aber nicht über das Ob.« (Christian P. Illek, Personalvorstand Deutsche Telekom)

Schattenseiten ernst nehmen
Der Psychologe und ärztliche Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, Manfred Spitzer, beobachtet reduziertes Erinnerungsvermögen und mangelnde Konzentration bei Jugendlichen, die exzessiv (will sagen: 5-8 Std. täglich) Smartphones nutzen. Er beschreibt dieses Phänomen als „Digitale Demenz“. Er berichtet von Kindern, die in Japan mit dem iPad selbst alltägliche Handlungen wie etwa eine Tür aufschließen lernen. Er beobachtete ein Kind, was bei einem hakeligen Schloss versagte, weil es mit den typischen Fingerspreizen wie beim Smartphone das Hindernis Tür zu überwinden versuchte. Dr. Rainer Thomasius, Leiter der Suchtstation des UKE geht davon aus, dass in Deutschland 600.000 internetsüchtige Jugendliche zu verzeichnen sind. Allein in seiner Suchtstation sind ¼ der rund 600 Patienten internetabhängig. Wohlgemerkt mit einer ähnlichen Symptomatik und Entzugserscheinungen wie Heroin.

Mit Augenmaß, bitte!
Der Mensch ist darauf angelegt, Möglichkeiten zu nutzen, die ihm geboten werden. Daher werden wir die digitale Entwicklung nicht aufhalten. Die Aufgabe von Unternehmern und Führung ist es, mit Augenmaß und Verstand, ja mit Anstand zu agieren. Denn wir stehen nicht einfach vor einem neuen Trend, sondern einem bedeutsamen Wandel im Miteinander.

Auf dem Radar
In unsicheren Zeiten neigen wir dazu, uns einzukapseln. Bauen Sie sich stattdessen lieber ein Radarsystem, um relevante Entwicklungen für Ihr Geschäft frühzeitig zu erfassen. Das können neugierige Mitarbeiter sein, die sozusagen als „Trendscouts“ die Nase im Wind haben. Laden Sie diese regelmäßig ein, um die Sichtweisen zu erfassen: »Die Dynamik des Unternehmens muss mindestens so groß sein wie die Dynamik des Marktes.« (Kybernetischer Leitsatz).

In diesem Sinne gilt es, agil zu handeln. Das bedeutet aber keinesfalls, jeder Entwicklung blind hinterherzulaufen. Wir regen zu einer „balancierten Agilität“ an. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, aber bei der Digitalisierung sprechen wir vom echten „Fast-Food“. 1 Balance zwischen verändern und bewahren : So viel Bewahrung wie nötig, so viel Dynamik wie sinnvoll. 2 Balance aus Selbstbewusstsein und Bescheidenheit : Brust raus und Kopf gesenkt. 3 Balance aus Sicherheit und Irritation : Im sicheren Rahmen kann Entwicklung entstehen, zu viel Sicherheit macht jedoch träge.

Lernimpulse direkt nutzen
Eines der nachgewiesenen Erfolgsfaktoren, insbesondere von neuen Geschäftsmodellen, ist das Timing. Gerade große Unternehmen mit eher zentralen Strukturen brauchen bei Entscheidungen oftmals zu lange. Aber Obacht: die Start-Up Prämisse „Fail early“ ist nicht immer weise, da Auswirkungen oftmals viel langfristiger sind, wenn Sie in größeren Strukturen agieren. Bauen Sie stattdessen kleine Einheiten, in denen Sie bewusst schnelle Entscheidungen ermöglichen. Probieren Sie aus, experimentieren Sie und fördern Sie vor allem eine radikale Lernkultur. Kein Meeting ohne die Frage „Was haben wir heute gelernt?“, „Was machen wir damit konkret?“, „Was ergibt sich daraus für das aktuelle Geschäft?“, „Welche Optionen können wir für zukünftige Potentiale ableiten?“.

Nutzen Sie digitale Medien unterstützend, nicht ersetzend
Reale Begegnungen werden in der Kombination mit Videokonferenzen und Chats an Bedeutung gewinnen. Die Währung der Zukunft wird Beziehungszeit sein, von der technologische Ausdrucksformen nur ein Teil sind. Schenken Sie also gerade in digitalen Zeiten gezielte Aufmerksamkeit.

Trennen Sie Information von Kommunikation
Je mehr Kommunikation auf digitale Medien verlagert wird, desto größer wird auch das Verlangen danach, Signale zwischen den Zeilen und emotionale Regungen in Echtzeit abzubilden, z.B. durch eine bunte Vielfalt an Smileys. Informationen und Daten sind digital hervorragend zu übermitteln. Um über digitale Medien Ihr Gegenüber jedoch zu verstehen, kennenzulernen, zu begeistern, zu motivieren und Botschaften zu übermitteln, ist es wichtig, Information von Kommunikation zu unterscheiden. Kommunikative Handlungen sind kein reiner Informationstransfer zwischen zwei Instanzen, sondern nehmen Einfluss auf die Sender-Empfänger-Beziehung, auf deren Stimmung, Vorstellungen und Verhalten. So sind Mails beispielsweise reine Informationskanäle, wohingegen bei Skype echte Kommunikation stattfinden kann.

Medienknigge und Etikette einsetzen
Ein respektvoller Umgang wie ausreden lassen, aufeinander eingehen, Bitte-Danke sollten ebenfalls in der digitalen Kommunikation gelten. Auch sozialer Status kann durch digitale Medien demonstriert werden, z.B. dadurch, wie oft man mit wem kommuniziert, von wem man wahrgenommen (bzw. ignoriert) wird. Führen Sie klare Regeln des Umgangs mit digitalen Medien ein. Das kann im einfachsten Fall die eindeutige Betreffzeile der E-Mail sein, wie z.B. „Art des Themas + gewünschte Aktion“. Das kann in WhatsApp-Gruppen entscheidend sein, so berichtete uns ein Geschäftsführer eines onlineaffinen Unternehmens. Er nutze 80 (!) WhatsApp-Gruppen nur für Führung. Dabei den Überblick zu behalten, falle verdammt schwer. Weniger ist auch digital mehr!

Mensch bleibt Mensch
Die menschliche DNA und unsere psychologische Grundarchitektur bleiben mit ihren Bedürfnissen weitestgehend unberührt von dem äußeren Trend. Digitale Technologien verändern schließlich nicht mir nichts, dir nichts das soziale Wesen von Gruppen oder Menschen. Gerade durch die wachsende Komplexität wird der Urwunsch nach Sicherheit, nach Anerkennung und nach Beziehung umso bedeutsamer. Lediglich die Formen ändern sich. Die Führungskraft wird daher noch stärker als heute schon zum Beziehungsmanager.

Fazit

Die Digitale Transformation bietet sowohl Unternehmen als auch uns als Gesellschaft riesige Chancen. Diese gezielt und mit Augenmaß zu nutzen ist Führungsaufgabe. Dabei wird der Mensch mit seinen Grundbedürfnissen nach Beziehung und Bedeutung im Zentrum bleiben müssen. Führen wird heißen, mit Unsicherheit umgehen zu lernen, sich immer wieder neu infrage stellen zu lassen und vor allem, Kontakt zu gestalten. Damit wird ein echtes gemeinschaftliches Tragen von Verantwortung möglich werden. Das Tragen von schweren Gegenständen überlassen wir gerne Robotern.

In diesem Sinne wünschen wir eine kontaktreiche Führungszukunft!

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